Die Konzessionsabgabe – Fragment
...


Wie aus dem Nichts erschien plötzlich neben uns ein Zigeuner, jung und agil, in den Händen Körbe voller Pilze.
-Da ist kein Wasser, Herrlein...
-Das sehe ich auch, raunzte Theodor über seine Schulter den Zigeuner an, ohne ihn anzuschauen, irritiert, angesäuert und entnervt, wie er es normalerweise nie ist.
Im Gegenteil, er ist ja zu allen Leuten ruhig und höflich. So sagt Theodor zum Beispiel sogar zu einer alten unbekannten Zigeunerin, die die Straße fegt,

Küß-die-Hand und verneigt sich leicht, obwohl er die Zigeuner nicht mag.
Hoppala!, er hat sich richtig geärgert, sage ich mir. Der Zigeuner hat ihn genervt. Und in einem Anflug von Boshaftigkeit, freue ich mich, daß er verärgert ist.
-Herrlein, kaufst du die Schwammerl?
-Kauf ich nicht.
-Ich gebe sie dir für nur 2 Lei.
-Ich kauf sie nicht, ich weiß nicht, was ich mit ihnen machen soll.
-Geschnezeltes, Herrlein! Gutes Essen, und billig dazu. Kannst auch Suppe machen, Süppchen, Herrlein...
-Brauch ich nicht!
-Soll ich dir ein Weihnachtslied singen?
-Sing nicht. Wir haben November!
-Möchtest du einen geflochtenen Besen haben?
-Nein!
-Einen Mistelzweig?
-Nein!!

Wir stiegen ins Auto, fuhren los, um die Quelle zu suchen und fragten alle Passanten danach -genau gesagt waren es nur zwei.
In der ersten halben Stunde trafen wir eine Greisin, schwer zu sagen, ob betrunken oder halb verhungert, die keine Ahnung von der Quelle hatte. Und einen alten, sympathischen Ungarn hoch auf seinem Fahrrad, der aber so tat, als könne er gar kein Rumänisch, - wie wenn wir in Ungarn gewesen wären.
Unverrichteter Dinge, als wir gerade umkehren wollten, begegnete uns erneut der Zigeuner mit den Schwammerln - jetzt war er ganz anders angezogen. Er trug Markenhosen, braun, breit und modern und hohe, schwere Rockerstiefel. Seinen Pilzkorb hatte er anscheinend irgendwo untergestellt, denn jetzt schleppte er ineinander verfilzte Mistelzweige auf dem Rücken.

Ich näherte mich ihm.
-Junger Herr! Wo fänden wir hier eine Wasserquelle, junger Herr? fragte ich den Zigeuner mit den Misteln, mich dabei so über Theodor  erheben wollend und auch um ihm zu zeigen, wie man mit den Menschen sprechen und sich verhalten soll, wenn man sie für sich einnehmen möchte.
-Junger Herr, sag ich zum Zigeuner, sei uns behilflich und wir werden dich auch belohnen...
-Wo ist das Wasser? Sag`s uns! rief ihm Theodor schroff zu, dann aber fügte er, mich nachahmend, sanft und rasch hinzu,
junger Herr.
Ich mag die Zigeuner, die Schwammerl und Misteln sammeln, hingegen die mit Masserati und Porsche verachte ich. Theodor mag weder die einen, noch die anderen.
-Da hinten ist es, am roten Teich,- deutete der junge Herr mir alleine.
-Dort?
Lediglich zwanzig Schritte entfernt von uns, unter ein paar schwerhängenden Tannenzapfen bei den Pinien mit roter Rinde sahen wir ein verfallenes Brunnengeländer aus Zement und Stein, mit einem eingemauerten Rohr, aus dem immer wieder mit Unterbrechungen das mineralische Naß quoll.
Das in der Rinne der Quelle gestaute Wasser floß rhythmisch, mal das Rohr füllend und dann in den Teich überlaufend, dann wieder innehaltend durch die im Rohr gestaute Luft. An dem Platz bildete sich eine rötliche Pfütze, nicht tiefer als in der Straße vor meinem Haus, wenn es regnete. Jemand hatte breite Steine darüber gelegt, eine kleine Brücke bildend vom Ufer zum Rohr hin, das Eisenoxydwasser überspannend.
Dieses Wunder der Erde, der Wein der Steine, strömte durch diese heimliche Pforte heraus, in Verborgenheit, murmelnd, Tag und Nacht.
Als ich mich der Quelle näherte und ihr Fließen vernahm, verliebte ich mich in sie.
Was kann schöner als eine Quelle sein?
Seitdem, zum Staunen meiner Mitmenschen, die mich für einen ziemlichen Schwätzer halten, passiert es mir oft in Gedanken zu versinken, ohne ihnen erklären zu können, was mit mir los ist.
Wie die Pubertären bei der ersten Liebe, nur, ich bin 50.
Verworrene Gefühle und komische Gedankenfragmente wühlen mich bisweilen auf. Beispielsweise nachdem ich das erste Mal aus der Quelle getrunken hatte, empfand ich es wie Raub an ihr, wie der Raub unseres Umweltministers am heimischen Wald.
Es kommt mir vor, wie wenn die Quelle mir nicht nur Wasser spendet, sondern auch eine bislang fremde Art von Weisheit. Dann, noch eigenartiger und bizarrer, träumte mir, daß ich ein multinationaler Konzern sei, spezialisiert auf Auslandsgeschäfte mit natürlichen Ressourcen, der alle Wasser vereinnahmt, in riesige Tanks pumpt, die Konzessionsabgabe an die Armen ignorierend, welche ihre Brunnen im Hof haben.
Daß jene Konzerne an der Privatisierung des Wassers arbeiten, also das Wasser nicht mehr ein Geschenk der Natur sein soll, eine Gottesgabe, sondern ein Produkt, ggf. ein Produkt des amerikanischen Konzerns X Chemical & Foods & American Sons.

Seit damals, wenn ich nicht schlafen kann, wissen Sie, was ich mache?
Ich schließe die Augen. Schließe die Augen, meine Gedanken sind bei jenem Wasser, wie es fließt, nachts, ohne daß jemand davon weiß, vor allem in mondlosen Nächten voller Wolken.
Wie es insgeheim in der Erde verschwindet, zurückkehrt in das Gefängnis der roten Steine und sich das Murmeln des Baches in der Lautlosigkeit der Tannen verliert. Ich denke an den steten Fluß dieses Wassers dort, an das keiner denkt, an das auch ich nicht dächte, wenn ich jetzt schliefe.
Der Schlaf kommt immer noch nicht, aber zumindest bin ich friedlich, wie wenn sich etwas Geheimnisvolles auftut über die Sinnlosigkeit meiner täglichen Laufereien, Sorgen, Arbeiten und Schulden hinaus, die mich so sehr von mir selbst entfernen.

Dann kommen mir jene Worte in den Sinn, die eines unglücklichen Menschen, wahre und traurige Worte: „Es gibt Wege, die uns suchen, aber uns nicht finden, weil wir unterwegs sind, auf der Suche nach ihnen, auf anderen Wegen.“
Aber was offenbart sich mir eigentlich über das Wasser?
Daß das Wahre in seinem Fließen liegt, vor allem nachts, ungesehen, in Dunkelheiten ohne Mond. Es offenbart sich, daß wir uns ähneln. Ich ähnele der Quelle. Irgendwann werden wir zum selben Ort zurückkehren
Nur gefällt mir die Ruhe nicht, denn ich fürchte, daß in ihrem Schatten die Traurigkeit liegt. Dann werde ich zum Schwätzer, mache irgendwelche Sachen und vergesse sie.

-Herrlein, sagt mir der Zigeuner, kaufst du einen Besen?
-Ja, ich kaufe dir einen ab. Gib mir, junger Herr, auch einen Mistelzweig, als Glücksbringer, und dann bitte sing mir ein schönes rumänisches Weihnachtstlied.
Freudig stürzte sich der junge Zigeuner darauf, steckte mir Misteln in den Kofferraum, den Besen auf die Rückbank und schnappte sich dann die 20 Lei, die ich ihm hinhielt. Nachdem er das Geld genommen hatte, begann er das rumänische Weihnachtslied zu singen, und zwar direkt mit dem Refrain:
-Santa Claus is comiiing in toooown!...
Währenddessen versuchte er auch eine groteske Choreographie zu improvisieren, schaukelte 2 Takte auf der einen Ferse, 2 auf der anderen, hob einen Arm in Schulterhöhe, dann den anderen, in etwa so, wie die Schwarzen aus Südafrika zu Mandela`s Begräbnis getanzt hatten.
Ich stoppte den Zigeuner und er verschwand so rasch und plötzlich, wie er zuvor aufgetaucht war.
....


von Vasile Brânduşoiu , Brasov/Kronstadt, Rumänien, 2013

(Übersetzt+korrigiert aus dem Rumänischen ins Deutsche von RP+DP, August 2014)